Mit grossem interesse habe ich ihren artikel über den "wilhelm-reich-spielfilm" gelesen. da sie sehr im bilde von werk und leben von wilhelm reich zu sein scheinen, kann ich ihren ärger
gut verstehen. aber wurde im film auch sein werk verfälscht dargestellt? für mich war der film insofern eine offenbarung, weil mir wilhelm reich vorher nicht bekannt war, und ich nicht
glauben konnte, dass schon im frühen 20 jahrhundert jemand der wahrheit so nah schien und in der westlichen kultur heute so wenig davon übrig...
befürworten sie trotzdem besser keinen film über reich als "so einen österreischen versuch"? freue mich über eine rückmeldung,
Ich habe mich in meinem Artikel nur zu dem Aspekt geäußert, ob der "Biopic" die Fakten von Reichs Leben korrekt darstellt, also die Frage "Warum wurde Reich verfolgt?" Da ein solcher Film als
dokumentarischer Tatsachenbericht konsumiert wird, also beim Zuschauer höchsten "Wahrheitsgehalt" bekommt, ist es schon entscheidend, ob die Tatsachen seines Lebens und seines Charakters korrekt
wiedergegeben werden.
Ich kenne die meisten der dargestellten Personen persönlich sowie die wissenschaftlichen Berater Heiko Lassek und David Blasband (beide reich'sche Therapeuten) und ich kenne ihre Motive. Ich muss
wohl nicht betonen, dass ich diese Motive nicht besonders schätze. Den Regisseur und Brandauer kenne ich nur telefonisch. Und so weiß ich auch von vielen Interna der Filmentstehung und da ich
selbst als junger Mensch als Drehbuchautor und Regisseur bei Film und Fernsehen gearbeitet habe, habe ich den Medienbetrieb von innen erlebt. Ich kann mir also gut vorstellen, was da alles
schiefgegangen ist. Zum Beispiel: dass die (fast ausschließlich deutschen) Schauspieler auf englisch agierten - um ihn in den USA zu vermarkten - (später wurde der Film deutsch synchronisiert).
Das nahm ihnen jede Lebendigkeit.
Es geht im Film leider viel zu viel um die Darstellung der wissenschaftlichen Inhalte: da wird doziert und erklärt, anstatt dass es Filmhandlung gibt. Das macht den Film langweilig und leblos.
Gerade Reich: unlebendig dargestellt. krass.
Zum Beispiel war ursprünglich Jack Nicholson für die Rolle als Reich vorgesehen und der hätte ihn nicht wie Brandauer als "lieben Papatypen" dargestellt, ein versüßlichtes, idealisiertes Bild,
wie ihn die Therapeuten gerne als Übervater träumen, sondern wie er war: ein ziemlich unangenehmer, aggressiver und charismatischer Machtmensch. Reich hatte mindestens einen Wutanfall pro Tag,
stolzierte mit Pistole und Flinte bewaffnet über sein Gelände und alle Mitarbeiter, seine Frau und auch seine Kinder fürchteten sich davor, von ihm zusammengeschissen zu werden. In Orgonon ging
es zu wie in einer Sekte. Es war kein Kollegium, sondern der Lehrer Reich dozierte, die Schüler hatten das freudig aufzunehmen. Reich feuerte jeden, den er nicht leiden konnte. Und er mochte
niemanden, der seine Arbeit in Frage stellte. Daher war er auch von Leuten umgeben, die ihm offiziell zu Munde redeten, ihn aber hinten herum als wissenschaftlichen Scharlatan abtaten. Ich habe
diese Info direkt von ehemaligen Mitarbeitern erfahren. Und DAS wäre eine eindrucksvolle Story für einen Film gewesen. Reich - der geniale Wissenschaftler, mit einer höchst widersprüchlichen
vitalen und aggressiven Charakterstruktur, der viel zu viel entdeckt hat, was bis heute nicht im Mainstream angekommen ist.
Zum Beispiel verlässt seine Frau Ilse ihn im Film und es wird überhaupt nicht deutlich, warum. Tatsächlich hat sie ein ganzes Buch darüber geschrieben und ich habe auch mit ihr darüber geredet.
Reich hat Theo Wolfe vergrault (Reichs einzigen Freund, der leider im Film nicht vorkommt und der eine entscheidende Rolle in Orgonon spielte - er hat Reich in die USA geholt, ihm einen
Dozentenjob an der Uni besorgt und alle seine Bücher übersetzt - ebenso wie Myron Sharaf, dessen Aufgabe es war, jedes Wort zu protokollieren und der später die vollständigste Reich-Biographie
veröffentlicht hat). Reich hat Ilse und Theo mit rasender Eifersucht verdächtigt, eine Affäre gehabt zu haben (was beide vehement bestritten haben, Ilse mir gegenüber noch 1989), während er mit
Patientinnnen und u.a. mit Aurora Karrer sexuelle Beziehungen hatte. Das passt natürlich nicht ins Bild des lieben, verständnisvollen Papas, wie Brandauer ihn darstellt.
Ich denke, dieser Film ist einfach eine schlechte Regieleistung. Er wird irgendwann einmal im Fernsehen laufen und dann für immer verschwinden. Es hätte ein spannender Prozessfilm werden können
wie z.B. "Philadelphia" oder "Eine Frage der Ehre" und Jack Nicholson hätte einen Typen spielen können, der an die "Wutprobe" anschließt. Ich finde, man hätte Reich als komplexen,
widersprüchlichen Menschen darstellen können, dessen gesunde, vitale und widersprüchliche Charakterstruktur ihn nicht nur mit den Behörden in Konflikt brachte, sondern mit jedem Menschen, der in
seiner neurotischen Angst versuchte, Reich einerseits als Genius zu verehren, ihn aber gleichzeitig auf ein erträgliches "Mittelmaß" zu stutzen. Nun hat der Film ihn posthum auf
dieses Mittelmaß gebracht - sehr bedauerlich und historisch falsch.
Nein, mit einem schlechten Film schadet man Reich mehr als ihm oder seinem Werk zu nutzen. Reich war kein "netter" Mensch, sondern ein wütender, lebendiger Haudegen, der alle und jeden
provozierte. ("Einen wie mich gibt es nur alle 1000 Jahre einmal.") Sharaf nannte deshalb seine Biographie "Fury on Earth" ("Der heilige Zorn des Lebendigen") und er wusste, warum.
Ich denke, dass ich Ihnen mit einer Einschätzung der Regieleistung mehr dienen konnte, als mit meiner Meinung, ob die wissenschaftlichen Inhalte korrekt wiedergegeben wurden, denn die Person und
Persönlichkeit Wilhelm Reichs ist ja der Inhalt des Films. Der Film doziert zwar viele Inhalte der Orgonomie - Reich erklärt und erklärt und erklärt - aber es ist eben keine wissenschaftliche
Dokumentation. Der Regisseur Antonin Svoboda hatte vor diesem Spielfilm bereits eine Wissenschaftsdoku "Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?" gemacht, aber auch mit dieser
habe ich inhaltliche Probleme, weil sie noch langweiliger ist und viel zu einseitig auf die therapeutische Arbeit Reichs eingeht, die er ja selbst grundsätzlich in Frage gestellt hat und
deshalb hat er sich aus jeder therapeutischen Arbeit und Ausbildung ab 1950 zurückgezogen - was in der Doku und im Spielfilm mit keinem Wort erwähnt wird. Insofern bilden auch die therapeutischen
Darstellungen im Spielfilm nicht die Situation ab, die zur Zeit der Prozesse herrschte. Der Film zeigt ja die Zeit nach 1952, als Reich längst nicht mehr körpertherapeutisch gearbeitet
hat.
Vielleicht ist der Spielfilm gerade deshalb so langweilig, weil der Regisseur zu viel Inhalte darin verarbeiten und erklären wollte, die nichts in einem Spielfilm zu suchen haben. Die Orgonomie
umfassend erklären konnte er sowieso nicht. Deshalb hätten die wissenschaftlichen Hintergründe auch als Fragezeichen stehen bleiben können. Auf Reich neugierig machen - das hätte man viel
besser mit einem dramaturgisch spannenden Film erreichen können.