Ich beziehe mich auf Wilhelm Reichs Aussagen, hier dokumentiert mit dem Zitat:
Ich möchte, dass Sie verstehen, dass individuelle Therapie nutzlos ist. Nutzlos! Oh ja, von großem Nutzen, um Geld zu machen und hier und da zu helfen. Aber vom
Standpunkt des sozialen Problems, vom Standpunkt geistig-seelischer Hygiene aus gesehen ist das nutzlos. Deshalb gab ich es auf.
(Wilhelm Reich, Interview mit Dr. Eissler „Wilhelm Reich spricht über Sigmund Freud“, S. 30)
Als Wilhelm Reich die Funktion des Orgasmus aufdeckte, also die Tatsache, dass fast alle Menschen "orgastisch impotent" sind und dass Neurose ein Massenphänomen ist, also dass so gut wie alle Menschen so neurotisch sind, dass sie kein natürliches, lebendiges Leben leben können, hat er noch in den medizinisch-psychiatrischen Zusammenhängen der Psychoanalyse gedacht.
Das bedeutet: er hat orgastische Impotenz als eine individuelle Störung betrachtet, die therapeutisch behoben werden kann. Oder anders ausgedrückt: er glaubte noch, dass er Menschen durch therapeutische Methoden gesund machen, also „den genitalen Charakter freilegen“ könnte.
Bald wurde ihm dann bewusst, dass die dafür ursächliche Charakterneurose eine endemische Krankheit ist, eine Seuche, die die gesamte Menschheit befallen hat. Im sexuellen Sinne „gesunde Menschen“ sind die große Ausnahme. Als Konsequenz glaubte er zuerst, die Massen aufklären zu müssen und gründete deshalb innerhalb der kommunistischen Partei die „Sexpol“-Bewegung, eine breite Aufklärungskampagne. Schnell wurde ihm dann klar, dass die Krankheit zu tief und unbewusst im Menschen verankert ist, als dass sie rationaler Aufklärung zugänglich wäre und er konzentrierte sich auf die Methoden der Individualtherapie. Doch nur 20 Jahre später, etwa 1950, gab er auch das Konzept der individuellen Therapie auf, weil ihm klar wurde, dass es so gut wie unmöglich ist, neurotisch verhärtete Erwachsene „gesund“ zu machen.
Wie konnte es dann geschehen, dass der Name Wilhelm Reichs bis heute mit einer schier unübersehbaren Zahl reich’scher Therapien verknüpft ist? Es scheint sogar so zu sein, dass sein Werk fast ausschließlich als therapeutisches Konzept überlebt hat, während alle anderen Aspekte – von der medizinischen Therapie mit Orgonakkumulatoren bis hin zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen über Klima-Beeinflussung – fast völlig untergegangen sind.
Reich hatte in den 40er Jahren viele Orgontherapeuten ausgebildet, und seine gesamte Forschung über diese Ausbildungen finanziert. Viele der von ihm ausgebildeten Ärzte sind sehr erfolgreich und wohlhabend geworden und manche haben dann weitere sehr große Therapie-Organisationen gegründet. Alles in allem wurde die reich’sche Körpertherapie das erfolgreichste psychotherapeutische Modell außerhalb des medizinisch-psychiatrischen Establishments der klassischen Medizin.
Ab ca. 1950 hat Reich jede therapeutische Tätigkeit und auch jede Ausbildung von Therapeuten aufgegeben, sie aber in die Hände mehrerer anderer Ärzte gelegt, die das American College of Orgonomy gründeten, in dem die Therapeutenausbildung bis heute fortgesetzt wurde. Die einzige Möglichkeit, Reichs Erkenntnisse in beruflichen Erfolg umzumünzen, sahen die meisten seiner Mitarbeiter und Nachfolger in der Arbeit als Körpertherapeut. Und daher gab es von dieser Seite kein Interesse, die Wahrheit über reich’sche Therapie allzu laut zu sagen und Reichs unbequeme Aussagen ab 1950, warum er die Individualtherapie aufgegeben hat, wurden einfach „vergessen“. 1952 formulierte Reich seine deutliche und später nicht mehr widersprochene Abkehr von der individuellen Therapie.
Reichs orgontherapeutische Arbeit, mit der er den weiten Bereich der Körperpsychotherapie erschaffen hatte, hatte zum Ziel, bei seinen Patienten die gesunden Charaktereigenschaften und damit den Orgasmusreflex wieder freizulegen. Reich hatte die Fähigkeit, dies bei seinen Patienten – zumindest innerhalb der Therapiesituationen – sehr schnell und effektiv zu erreichen. Seine Therapien dauerten meist nur wenige Wochen, höchstens ein paar Monate. Doch bereits bei der nächsten Generation von Therapeuten, die er ausgebildet hat, war die Orgontherapie weit weniger effektiv und dauert heute viele Jahre. Die neo-reichianischen Körpertherapieformen, die auf der Basis der Orgontherapie entwickelt wurden, wie z.B. Bioenergetik, Core-Energetics, Rolfing, oder Radix haben das Ziel der orgastischen Potenz, d.h. den Orgasmusreflex unbehindert auszulösen, weitgehend aufgegeben. Wahrscheinlich erleben selbst die meisten reich’schen Therapeuten heute den Orgasmusreflex nicht mehr und viele sind nicht einmal in der Lage, die Lebensenergie wahrzunehmen. Das ist jedenfalls mein Eindruck, da ich aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit seit über 30 Jahren oft mit reich’schen Therapeuten zu tun habe und seit 15 Jahren den Menschen die Wahrnehmung der Lebensenergie gelehrt habe.
Die von Reich entwickelte psychiatrische Orgontherapie (es ist die „Urform“ aller Körperpsychotherapien) und ihre vielen Nachfolger können eventuell im Einzelfall eine effektive Hilfe für eine Auflockerung der energetischen – also körperlichen, emotionalen und geistigen – Strukturen eines Menschen sein. Dass dies jedoch der Menschheit nicht wirklich weiterhelfen wird, hat Reich deutlich gesehen und benannt. Er glaubte am Ende nicht mehr, dass Körpertherapie an der Situation der Menschheit – in der Neurose stecken zu bleiben und sexuell weitgehend unglücklich zu sein – etwas ändern würde. Es müssten Millionen Therapeuten ausgebildet werden. Aber wozu, wenn schon die Therapeuten nicht gesund geworden oder geblieben sind, die er selbst ausgebildet hat?
Hallo,
Reich hat nicht die Individualtherapie insgesamt als Psychotherapie für nutzlos erklärt, sie hat ihn nur nicht interessiert! Natürlich hat die Psychotherapie ihren Nutzen, um Menschen wieder in die "maschine Gesellschaft" zu integrieren, persönliche Prozesse in Gang zu setzten etc.. Reichs Interesse war aber etwas ganz anderes. Was an den Erkenntnissen Reichs oft übersehen wird: Er hat in seiner psychiatrischen Arbeit als erster Therapeut die Funktion der emotionellen Gesundheit formuliert, denn neben allen neurotischen Charakterstrukturen hat er auch das beschrieben, was er den »genitalen Charakter« nannte, der Anteil am Menschen, der fähig ist, auf natürliche Weise glücklich zu sein, der Zugang zu seinem biologischen und seelischen Kern hat. Und ab 1950 hat er deutlich gesagt, dass die Wiederherstellung charakterlicher Gesundheit weder über Aufklärung (siehe: Sexpol) noch durch Individualtherapie möglich ist. Er hat sich dann konsequent von der Therapie losgesagt und weder Behandlungen durchgeführt noch Ausbildungen. Das ist historisch belegt. Das war keine Selbst-Entwertung seiner Arbeit und frustriert war er schon gar nicht. Er hatte einfach das Ziel, die Menschheit zur Gesundheit zu führen und war so groß und selbstkritisch zuzugeben, dass das mit seinen und anderen "Therapiemethoden" einfach nicht funktionieren kann. Das einzige, was er sich vorstellen konnte war, für die Gesundheit der neugeborenen Kinder zu sorgen. Ich habe mit Eva Reich viel darüber geredet.
Was ich sehr bedauere: die reich'sche Therapieszene hat diese Tatsachen einfach nicht zur Kenntnis genommen und den Reich nach 1950 einfach nicht mehr ernst genommen. Warum wohl? Die Methode "Schlag das Meer, wenn du nicht schwimmen kannst!" spricht für sich. Reich hat 1952 im Christusmord darüber geschrieben, was mit einem "Führer" geschieht, wenn er sich nicht den Erwartungen seiner Gefolgsleute entsprechend verhält. Bis auf Aurora Karrer (die im Film als "Verräterin" dargestellt wurde, in Wahrheit aber seine treue Lebenspartnerin war, mit der er für die Zeit nach der Entlassung aus dem Gefängnis schon die Emigration in die Schweiz geplant hatte) hat zum Ende niemand zu ihm gehalten. All die "Therapeuten" haben "ihren Meister" zum Schluss verraten (sie waren weder beim Prozess, noch haben sie ihn im Gefängnis besucht und schon gar nicht haben sie gegen das schreiende Unrecht protestiert), denn sie waren zu eifrig dabei, ihre Karrieren zu schmieden: die Petrus-Sünde. Sie haben ihn für "verrückt" erklärt - wieder mal. Und auch Sie nehmen lieber an, dass er "frustriert war", als zu sehen, dass er viel mehr war als der Erschaffer einer Therapiemethode. Das "Verrückt-Erklären" geschah immer wieder: die Kommunisten, die Psychoanalytiker, die Vegeto- und Orgon-Therapeuten und heute die Neo-Reichianer, die einen verlogenen Film machen und ihn als "Biographie" tarnen, aber nur, um ihre eigene Verstrickung in die Zerstörung des Reichschen Werkes verschleiern.