Schon als Student gelangte Reich um 1920 in den engsten Wiener Kreis um Freud und fiel als brillanter Theoretiker der Psychoanalyse auf.
Sein Hauptaugenmerk legte er von Anfang an auf die Erforschung der gesunden sowie der neurotischen Sexualität. Der Orgasmus in seiner gesunden Form ist die völlige Entladung überschüssiger Körperenergien. Bei den meisten Menschen ist aufgrund neurotischer Charakterstrukturen, die als "normal" gelten, die Fähigkeit zur sexuellen Hingabe mehr oder weniger beschränkt - Reich nannte dies "orgastisch impotent".
Neurosen entstehen im frühesten Kindesalter, indem natürliche emotionelle Impulse gewaltsam gestoppt werden. So richtet sich die Libido, die Lebensenergie, gegen das Individuum selbst. Die Summe aller Libido-Umlenkungen ist der strukturierte Charakter. Mit der Charakteranalyse schuf Reich ein Standardwerk der Psychoanalyse.
Reich hatte das Ziel, die Erkenntnisse der Psychoanalyse für die Verhinderung von Neurosen einzusetzen. Die Beschränkung auf das Kurieren von Zwangsneurosen und Hysterien bei der Wiener Oberschicht - womit der größte Teil seiner Kollegen beschäftigt war - kritisierte er als elitäre Vergeudung bedeutender Erkenntnisse über die Strukturen psychischen Elends.
Ihm lag vor allem die Neurosenprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen sowie die sexualhygienische Aufklärung von jungen Menschen am Herzen. Da er damit bei den eher konservativen Psychoanalytikern Wiens auf Ablehnung stieß, gründete er in Berlin innerhalb der KPD die "Sexpol-Bewegung", mit der er sehr erfolgreich Sexualaufklärung für junge Arbeiter betrieb. Freud und den etablierten Psychoanalytikern war seine sozialistische Orientierung in hohem Maße suspekt. So wurde er aus der Psychoanalytischen Vereinigung ausgeschlossen - auch weil er gegen die Todestriebtheorie des späten Freud vorgegangen war. Die stillschweigende Anbiederung wichtiger Kreise der Psychoanalyse an die Nationalsozialisten mag ein weiterer wichtiger Aspekt gewesen sein.
Auch durch seinen unangepaßten, provokanten Stil machte Reich sich viele Feinde, so daß er zeitlebens mit bösartigen Gerüchten über seinen Geisteszustand konfrontiert war.